Die Sorben/Wenden - im Europa der Regionen
2018 wurde in der Lausitz eine demokratisch legitimierte sorbische/wendische Volksvertretung gewählt, der »Serbski Sejm«. Dieses aus freien, geheimen und direkten Wahlen hervorgegangene Parlament kämpft nun für das sorbische/wendische Volk um den Status einer Selbstverwaltungskörperschaft des öffentlichen Rechts. Mit diesem voll entwickelten Instrument der indigenen Selbstbestimmung überwindet das sorbische/wendische Volk den Status des »Minderen«. Dabei sollen nicht Grenzen um ein Land gezogen werden, sondern sich ein auf das Gemeinwohl orientiertes Zusammenwirken überschaubarer sozialer und kultureller Einheiten für ein zukunftsfähiges Europa entwickeln. In diesem Sinn öffnet das sorbische/wendische Parlament einen Diskussionsraum, der weit über die Lausitz hinausreichen soll. Ein Motto des Serbski Sejm lautet daher folgerichtig: Wir, das Volk der Sorben/Wenden, haben etwas zu geben!
Die Sorben/Wenden leben in zwei Bundesländern, sie sprechen zwei Sprachen – Nieder- und Obersorbisch – und folgen zwei Konfessionen. Das sorbische/wendische Volk besitzt kein staatliches Territorium; die Lausitz/Łužica/Łužyca ist seine regionale Heimat. Der Serbski Sejm verfolgt das Ziel eines auf Gemeinwohl orientierten Zusammenwirkens anstelle von Machtpolitik und Zentralisierung. Ähnlich wie Slowaken in Serbien oder wie Samen in Finnland möchten die Sorben/Wenden Mitbestimmung bei der Bewirtschaftung ihres Landes, der Gewässer und Bodenschätze; nicht um das Land zu besitzen, sondern um es rechtmäßig nach ihren Traditionen und Zukunftsvorstellungen zu nutzen und für kommende Generationen zu erhalten.
Ein offenes Volk
Die Offenheit des sorbischen/wendischen Volkes hat ein ganz besonderes Merkmal: Sorbin/Wendin und Sorbe/Wende kann jeder werden, nur durch das Bekenntnis, nicht durch Abstammung. Separatismus und Nationalismus mit den üblichen Mitteln der Nationenbildung - der Ausmerzung und Vertreibung konkurrierender Ethnien - sind ihnen fremd. Ihr Heimatland, schlicht »Siedlungsgebiet« genannt, besitzt keine nationale Grenze; es umfasst lediglich die Gemeindegebiete der sorbischen/wendischen Kommunen.
Das sorbische/wendische Volk hat sehr schwierige Zeiten durch- und überlebt. Das feudalistische, das kaiserliche, das nationalsozialistische und das stalinistische Deutschland bekämpften alle Formen der Selbstachtung der Sorben/Wenden. Unterdrückung, erzwungene Assimilation und Gleichschaltung mussten sie ertragen. Nicht einmal in der Zeit nach dem II. Weltkrieg gelang ein ernsthafter Diskurs über die diffizilen deutsch-sorbischen/wendischen Beziehungen. Trotz gesetzlicher Würdigung und eines wachsenden Empfindens für individuelle Rechte schien eine Selbstbestimmung der Sorben/Wenden unerreichbar.
Einheit in Vielfalt
Das ist anders, seit eine Volksvertretung, der Serbski Sejm, frei gewählt wurde und seine parlamentarische Arbeit praktiziert. Deshalb schauen Lausitzer Sorben/Wenden heute nach vorn und helfen, unbefangen mit den Unterschieden zwischen Mehrheits- und Minderheitsgesellschaften umgehen zu lernen. In ihrer besonderen, zentralen Lage können sie als Beispiel für viele weitere kleine Ethnien besonders an europäischen Grenzen Vermittler sein, um das große Potenzial verschiedener Kulturen als Bereicherung zu entwickeln. Nun kommt es darauf an, diesen vielstimmigen Chor der kulturellen und ethnischen Identitäten zum Klingen zu bringen und die Menschen verschiedener Sprachen, Kulturen und Ideen daran zu beteiligen. Die Dynamik der globalen Moderne benötigt für ihr nachhaltiges Gemeinwohl Regionen wie die sorbische/wendische Lausitz – als verbindendes Element zwischen Ländern und Regionen, für einen wachsenden Zusammenhalt innerhalb Europas.
Das Zeichen des Serbski Sejm ist die Frucht der Linde
Der heilige Baum der slawischen Mythologie ist die Linde. Sie symbolisiert das Zentrum der Gemeinschaft und steht für Freiheit und Glück. In vielen sorbischen/wendischen Zusammenhängen taucht der dreiblättrige Lindenbaum oder das einzelne Lindenblatt auf.
Wir meinen: Die Zeit der Reife ist gekommen. Die sorbische/wendische Kultur hat der Welt etwas zu geben, was gerade heute von essenzieller Bedeutung ist: Friedenswillen, Gemeinschaftlichkeit, Verbundenheit mit der Natur. Deshalb zeigt das Zeichen den Fruchtstand der Linde. Die drei Nüsschen, die an einem gemeinsamen Stiel hängen, stehen für den Willen, die Zusammenarbeit mit allen sorbischen/wendischen Gruppierungen zu suchen und die Verbundenheit der pluralen Gesellschaft in den beiden Lausitzen zu stärken.
Der Flügel der Frucht möge unserer Bemühung Leichtigkeit verleihen und die sorbische/wendische Sache »zum Fliegen« bringen!